8. Mai 2024 / Kultur

Zeitgeist und Gesellschaftskritik

Theaterhaus, Stuttgart, Schauspiel, Zeitgeist, Gesellschaftskritik

Das Theaterhaus Schauspiel bringt regelmäßig wichtige Gegenwartsthemen auf die Bühne

Zeitgeist und Gesellschaftskritik

Was muss das Theater leisten in unseren bewegten Zeiten? Muss Theater politisch sein? Passen Kunst und Politik überhaupt zusammen? Und ob! 

„Alles ist Theater. Und Theater ist auch immer Politik, wie auch Politik immer Theater ist. Denn nicht zuletzt auf der Bühne wird seit je das verhandelt, worüber eine Gesellschaft reden muss“, sagt Werner Schretzmeier, der Intendant des Theaterhaus Stuttgart. „Wir haben schon immer wichtige Gegenwartsthemen auf die Bühne gebracht. Aber so intensiv wie heute war auch das Theaterhaus lange nicht mehr“, so Schretzmeier weiter. „Wir wollen nicht mehr wegtauchen, wir wollen uns einmischen, wir wollen zum Nachdenken inspirieren.“

Dabei verweist er ganz gezielt auf die aktuell und regelmäßig gespielten Stücke des Theaterhaus Schauspielensembles. So legt die Inszenierung von „And now Hanau“ nach einem Text von Tugsal Mogul seit ihrer Premiere am 19. Dezember 2023 den Finger in die Wunde der noch immer nicht restlos aufgearbeiteten fremdenfeindlichen Morde vom 19. Februar 2020 in Hanau. Damals tötete in der hessischen Stadt ein rechtsradikaler Attentäter neun Menschen mit Migrationshintergrund. Im Theaterhaus wird das Dokumentartheater nicht zuletzt durch die von fünf Schauspieler:innen präsentierten Fakten und Erkenntnisse zur packenden und emotionalen Anklage.

Ähnliches trifft auch auf „Wer lange wartet, stirbt“ zu. Das 1-Personen Stück hatte im letzten September Premiere. Zu einer Zeit also, als der heißeste Sommer seit der Geschichte der Wetteraufzeichnung hinter uns lag und sich viele Menschen dennoch über die Aktionen von Klimaaktivisten echauffierten. Da kam der Monolog einer Klimaaktivistin, geschrieben von der Klimaaktivistin Karina Wasitschek, zur passenden Zeit, um den notwendigen Diskurs auch auf der Theaterbühne zu eröffnen.

Mindestens so intensiv ist auch die Auseinandersetzung mit dem Gaza-Konflikt. „Es ist an der Zeit, dass wir uns hinsetzen und endlich miteinander reden“ lautet einer der Schlüsselsätze im Theaterstück „Ich werde nicht hassen“ von Izzeldin Abuelaish, das seit seiner Uraufführung am Theaterhaus 2014 nichts von seiner brutalen Aktualität verloren hat. Obwohl der Arzt 2009 drei seiner Kinder durch eine israelische Granate verloren hat, kämpft der Palästinenser unermüdlich für Verständigung und Versöhnung mit Israel.

Ein weiteres zeitlos aktuelles Stück ist „Die deutsche Ayse“ von Tugsal Mogul. Drei türkische Frauen aus der ersten Einwanderergeneration stehen im Mittelpunkt. Sie kommen in ein fremdes Land, das so ganz anders ist, als ihre Vorstellungen davon waren. Sie wollen nicht lange bleiben, und stehen doch vor der Herausforderung, sich mit ihrer neuen Umgebung anzufreunden. Wie schwer ist es, sich in ein anderes Land zu integrieren? Und was tut dieses Land dafür? Eine Beschäftigung mit der Realität von Menschen mit Migrationshintergrund, fernab von ideologischen, kulturellen und religiösen Diskussionen.

Dagegen verhandelt „7 Minuten - ODER 11 FRAUEN GEGEN 10 KRAWATTEN“ die Tücken des Kapitalismus.  Die Zuschauer:innen verfolgen eine beängstigend gegenwärtige Debatte über soziale Gerechtigkeit und über die Pflicht, Haltung zu zeigen.

Mit „Prima Facie – Dem Anschein nach“ ist zudem, in Kooperation mit den Schauspielbühnen in Stuttgart, das feministische Stück der Stunde zur MeToo-Debatte und sexualisierter Gewalt gegen Frauen auf dem regelmäßigen Spielplan des Theaterhauses.

Was passiert, wenn ein junger und politikverdrossener Mann im Friseursalon seiner Tante auf einen etablierten Lokalpolitiker trifft? Denn der OB-Kandidat hat einen Unfall gebaut, das Unfallopfer ist der Sohn der Friseurladeninhaberin. Das ist die Prämisse des Stücks „Furor – oder wie ein Handy alles ändern an“. Ein Stück, das die schmerzlichen Entwicklungen einer auseinanderdriftenden Gesellschaft in den Mittelpunkt rückt. 

Das Stück „Frauensache“ ist hingegen ein Stück für rein weibliche Besetzung. Allerdings werden dort Feminist:innen und ihre Feind:innen gleichermaßen scharfzüngig behandelt. Es die ewig aktuelle Diskussion über Schwangerschaftsabbrüche und das erst kürzlich abgeschaffte Werbeverbot für diese auf. Gleichzeitig thematisiert, es, dass Abtreibung immer mehr zum Kampfbegriff der neuen Konservativen und der Rechten wird, die das hochemotionale Thema „Abtreibung“ als Steilvorlage für sich und ihr Weltbild instrumentalisieren.

Als Monolog einer Abrechnung inszeniert, bringt das Stück „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ von Charles Lewinsky das Thema Antisemitismus auf die Bühne. Der Journalist Emanuel Goldfarb wird gebeten, vor einer Schulklasse Fragen zum Judentum zu beantworten. Warum sollte er das tun? Die Formulierung seiner Absage wird zur wütenden Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten im deutsch-jüdischen Verhältnis. Ein kluger und zugleich provozierender Monolog von großer Aktualität.

Schretzmeier betont eindringlich, wie wichtig es gerade in diesen unruhigen Zeiten sei, Haltung zu zeigen. „Das gehört auch zum Auftrag von Kunst und Kultur, neben der gut gemachten Unterhaltung unseres Publikums auch Inhalte und Botschaften zu präsentieren.“

 

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