23. Dezember 2024 / Kultur

Eine Weihnachtsgeschichte Teil 2

Weihnachtsgeschichte Teil 2, zum Vorlesen

Meistens begannen die Geschichten mit dem Satz: „Das wollte ich euch auch mal erzählen, ist mir neulich eingefallen.“ Und dann saßen alle um sie herum, sahen an ihren Augen, wie sie sich selber an ihrer Erzählung begeisterte, und konnten nicht genug hören von den Indios auf dem Altiplano in Südamerika, von den Maori auf Neuseeland, von den Chinesen aus dem hintersten Teil des weitläufi-gen Landes oder von der Nordpolexspedition ins Ewige Eis, an der sie und ihr Mann zufällig teilnehmen durften.

Ja, sie hatten sehr viel erlebt und der Erinnerungsschatz war riesig. „Jetzt bin ich aber unruhig“, sagte Birgit. „Wieso? Kommt sie nicht immer in der Dunkelheit, so gegen 19 Uhr?“, meinte Thomas. Die Kinder widersprachen. „Sie will doch mit uns zu Abend essen, bringt so einen stinkigen Käse mit, den du so gerne magst, Papi.“ „Sollten wir sie mal anrufen, wenn du in Sorge bist, Biggi?“ „Nein, auf keinen Fall. Du weißt, sie mag das nicht. Sie ist in all den Jahren eine sehr selbständige Frau geblieben. Und seit gestern hat es nicht mehr geschneit, sodass es keine Straßenprobleme gibt.“

Thomas schaute in das Licht der Straßenlaterne. Nein, es schneite wirklich nicht. Mit der Tageszeitung setzte er sich in seinen Lieblingssessel und dachte nach. Der Arbeitgeber, eine Speditionsfirma in Isny, hatte eine größere Anzeige in Auftrag gegeben, weil sie in letzter Zeit nicht genügend zu tun hatten, an manchen Tagen nur die Hälfte der LKW unterwegs waren, aber auch, um der treuen Kundschaft ein Dankeschön für das ablaufende Jahr auszudrücken und gleichzeitig ein frohes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr zu wünschen.

Thomas geriet ins Grübeln. ‚Hoffentlich verliere ich meine Stelle nicht.‘ Das Gehalt wurde leider schon gekürzt und langte bei Weitem nicht für die dringen-den Notwendigkeiten und schon gar nicht für so manche Wünsche in der Familie. Birgit hatte deshalb bei einem Internisten für drei Tage in der Woche eine Stelle als MTA angenommen.

Plötzlich klingelte das Telefon. Thomas schnellte in die Höhe und hatte gleich den Hörer in der Hand. „Wie bitte, woher rufen Sie an? Frau Ilona Schieder – was ist passiert? Ja, natürlich, wir werden uns beeilen. Danke für Ihre Mitteilung.“ Die Kinder kamen und auch Birgit von der Küche her und alle drei fragten wirr durcheinander. „Ist etwas mit Ilona? Kommt sie nicht? Was ist passiert?“

„Jetzt lasst mich mal in Ruhe erzählen. Ilona kippte in ihrer Wohnung um, konnte den Knopf vom Roten Kreuz gerade noch drücken. Dann scheint sie in Ohnmacht gefallen zu sein. Jetzt ist sie im Krankenhaus. Wir sollen kommen, weil man in ihrem Zustand nicht weiß…“ „Um Gottes Willen, Ilona doch nicht. Sie war doch nie krank.“

„Aber sie ist achtzig Jahre alt und da ist alles möglich“, sagte Thomas. „Macht euch fertig, wir fahren sofort hin.“ Birgit nahm nur schnell das Teewasser vom Herd, schaltete ihn ab. Sie schlüpfte schnell in den Anorak, zog ihre Schuhe an. Thomas war bereits am Auto und die Kinder setzten sich auf die Rückbank. „Das wird schon wieder“, meinte Birgit hoffnungsvoll.

„Wer weiß“, unkte Max, der bei der Freiwilligen Feuerwehr angeheuert hatte, aber nur in der Freizeit, denn ansonsten ging er ins Gymnasium, wollte einmal unbedingt Maschinenbau studieren. Er dachte ständig an den Führerschein, den er mit bald siebzehn Jahren machen wollte wie viele seiner Kumpel, aber er fragte sich, woher dafür das Geld kommen sollte. Der Vater hatte der Familie von seinen Geldsorgen berichtet. „Fahr‘ nicht so schnell“, bat seine Frau, „wenn uns etwas passiert, ist niemandem geholfen.“

Tatsächlich nahm Thomas die Kurven nun etwas weniger gefahrvoll. Als sie vor dem Krankenhaus eintrafen, fanden sie zu diesem Zeitpunkt einen Parkplatz in der Nähe. Eltern wie Kinder beeilten sich, um an der Pforte nachzufragen, wohin man sich begeben soll. Es kam eine ältere Schwester mit kummervoller Miene. „Sind Sie die Angehörigen von Frau Schieder? Ach ja, es tut mir so leid, ausgerechnet jetzt vor Weihnachten, aber sie ist vor zwanzig Minuten verstorben, kam gar nicht mehr zu sich.“

Birgit sagte bestimmt: „Nein, das kann nicht sein. Sie war doch so gesund. Das äußerte sie stets und machte noch ihre Schiffsreisen überallhin.“ Thomas nahm seine Biggi in den Arm, versuchte sie zu beruhigen, während die Kinder stumm dastanden. „In dem Alter kann sich der Zustand von heute auf morgen schnell verändern“, bedauerte die Schwester. „Sie möchten bestimmt den Chefarzt sprechen.

Er ist gerade noch da“, sagte sie, sichtlich in Eile, und begleitete die Familie mit dem Fahrstuhl in den zweiten Stock.

Das Zimmer war nur schwach erleuchtet. Ilona lag friedlich auf dem Bett, hatte in den Händen eine weiße Rose. .....

Fortsetzung folgt morgen

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